wolfsgeheul.eu vom 02.03.2016

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Eine empirische These: Freiheit toleriert nicht mehr nur Minderheiten, sondern fördert und bevorzugt sie – zwar ungewollt aber realiter – sogar.

Freiheitliche Systeme werden faktisch zunehmend ad absurdum geführt, dadurch, daß Minoritäten sich neuerdings nicht mehr damit zufrieden geben, unbehelligt leben zu können. Stattdessen wollen sie überproportional wahrgenommen und berücksichtigt werden, was wiederum die Freiheit der Mehrheit beschneidet, ein Faktum, das jedoch der freiheitlichen Idee zuwiderläuft und sie zerstört. Werden also mit dem Postulat Freiheit Geister beschworen, die man dann nicht mehr los wird? Und enden somit freie Gesellschaften irgendwann zwangsläufig in einer Diktatur von wenigen Freien über den großen Rest?

Schauen wir auf zwei aktuelle Beispiele!

Das Kölner Kulturpublikum machte auf mich immer einen sehr aufgeschlossenen und toleranten Eindruck, wenngleich es weniger vornehm als mehr spontan und ehrlich daherkam. In lebhafter Erinnerung ist mir eine Aufführung im Rahmen eines Festivals für internationalen Tanz vor circa 35 Jahren. Eine belgische oder englische Tanzkompanie führte ein Stück zu den Klängen der h-moll-Messe auf. Tänzerisch auf höchsten Niveau erschloß sich dem genauso gebannten wie irritierten Besucher nicht alles in der Inszenierung sofort und gegebenenfalls auch danach nicht. Lange Zeit wurde zum Beispiel auf der Bühne mit einem Kohlkopf Fußball gespielt, bis er in seine Einzelteile zerlegt war. So oder so, es war ein Ereignis und Erlebnis. Daß das nicht alle so sahen, zeigte sich daran, daß viele den Saal während der Aufführung verließen. Dies taten sie aber maximal grummelnd und nicht laut schimpfend oder protestierend, so daß es zwar störend, aber nicht anlaßgebend war, die Aufführung abzubrechen. Der Kölner Humor allerdings entlud sich in der letzten Reihe mit dem lauten Ausruf: „Wenn ich bezahlt habe, bleibe ich auch bis zum Schluß!“ Kunst soll aufrütteln, und das hat sie hier exemplarisch getan und alle waren zufrieden, die Zufriedenen genauso wie die Unzufriedenen, die ihrem Unmut Luft und sich demonstrativ aus dem Staub gemacht hatten. Gestern nun mußte ein Konzert in der Philharmonie abgebrochen werden, weil eine Minderheit sich so lautstark äußerte und tumultartig den Saal verließ, daß der Cembalist sich genötigt sah, mitten im Spiel des den Unmut erregenden modernen Stückes einzuhalten und endgültig aufzuhören. Der Mehrheit, der die Musik gefiel oder die zumindest bereit war, sich auf sie einzulassen, wurde diese Möglichkeit praktisch gewaltsam genommen. Nun kann man streiten, ob nicht schon das Verlassen des Saales während des Konzertes mehr als nur ungehörig und nicht von der Freiheit umfaßt ist, weil es den freien Genuß der anderen bereits zu sehr stört, aber solange es still geschieht, dürfte es nicht zu beanstanden sein. Der veranstaltete Tumult jedoch überschreitet jedenfalls die Grenze des Hinnehmbaren. Tatsächlich ist es aber ein Versagen der Mehrheit und der Intendanz, die hätte eingreifen und alle, die sich der modernen Musik nicht stellen wollten, zum Gehen hätte auffordern oder sie notfalls zwangsweise entfernen müssen, um danach ungestört weiter musizieren zu können.

Anderer Fall aus der heutigen FAZ! In Israel klagt eine 81-Jährige Holocaust-Überlebende gegen die Airline El Al wegen Diskriminierung. Den Grund bildet folgender Vorfall: Die Klägerin hatte bereits ihren Sitzplatz eingenommen, als ein ultra-orthodoxer Jude sich auf dem Nachbarsitz niederließ und sich sofort beschwerte, weil er aus religiösen Gründen nicht neben einer Frau sitzen könne. Die daran gewöhnte und insofern geübte Fluggesellschaft bat die Dame daraufhin, ihren Platz zu wechseln, was diese auch tat, aber zu recht als Diskriminierung empfand. Niemand hat etwas gegen Menschen, die, warum auch immer, nicht neben Frauen sitzen können oder wollen. Die müssen dann aber bestensfalls im Vorfeld entsprechend Sorge tragen oder wie vorliegend selbst ihr Köfferchen nehmen und umziehen, soweit die Möglichkeit besteht und vom Flugpersonal eingeräumt wird. „Schlimmstenfalls“ muß der Frauenphobiker die unerwünschte Nachbarschaft hinnehmen. Alles andere wäre und ist leider verkehrte Welt! Bei allem Verständnis für die Sorge um Kundenzufriedenheit, darf es demnach nicht angehen, überhaupt in Erwägung zu ziehen, die Frau zum Umsetzen zu bewegen. Hier muß eine klare Linie für die Freiheit an sich und die der Mehrheit gezogen werden.

Eine Gesellschaft, die Minderheiten also nicht in ihre Schranken weist, wird über kurz oder lang mehrheitlich unfrei. Wehret den Anfängen, muß demnach die Devise sein! Denn ich bin fest davon überzeugt, daß sich hier keine Zwangsläufigkeit entwickelt. Der bisher gemachte Fehler der Mehrheit ist es nur, sich nicht früh genug zu beschweren und aufzubegehren, wenn die, deren Freiheit man will und verteidigt, statt sich bedanken und zufrieden zu sein, beginnen, an der Freiheit derer zu knabbern, die sie ihnen gewähren. Wer an diesem Punkt langmütig und nachsichtig bleibt, bringt auf Dauer seine eigene Freiheit in Gefahr. So beginnen Diktaturen, aber nur dann, wenn die Majorität es mit sich machen und geschehen läßt. Wir haben es also in der Hand! Freiheit ist nicht immer auch die Freiheit, sich um nichts zu scheren, will man sie für sich selbst erhalten. Freiheit will fortdauernd verteidigt und erkämpft sein.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

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wolfsgeheul.eu vom 05.11.2015

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Neulich hatte ich auf einer Vernissage einen kleinen, lustigen Wortwechsel mit einem von mir sehr geschätzten Journalisten im Unruhestand, der den Spaß am akademischen Streiten zum Glück noch nicht verloren hat.

Er berichtete, in der „Zeit“ ein Interview mit einem vorgeblichen DDR-Kenner – Name war ihm entfallen – gelesen zu haben, der unter anderem seinen Lieblings-DDR-Witz zum besten gegeben habe.

„Warum ist die Banane krumm? Weil sie einen Bogen um die DDR macht.“

So herausgefordert, behauptete ich, ebenfalls als DDR-Kenner, einen weit besseren DDR-Witz parat zu haben.

„Was ist die sozialistische Verwirrung? Wenn man mit einem leeren Einkaufsnetz vor dem „Konsum“ steht und nicht weiß, ob man schon drin war und noch rein muß.“

Zunächst wurde mir die DDR-Kennerschaft abgestritten, weil ich nicht zur Zeit des Existierens dieses Unrechtsstaates dort gelebt hätte, was natürlich richtig ist. Meinen Einwand, ich hätte aber in den fünfzehn Jahren dort mit so vielen in der DDR sozialisierten Menschen gesprochen, ihnen zugehört und bezöge mein fundiertes Wissen daraus, ließ er nur halb gelten. Letztlich lief es jedoch nur auf Wortklauberei hinaus.

Spannender war der Witzewettstreit, der sich aus dem Disput entwickelte. Viele Anwesende wurden gebeten/gezwungen, die Schiedsrichterrolle zu übernehmen und den besseren der beiden zu küren. Vermutlich wegen der Höflichkeit der Befragten erlangten wir darüber keine endgültige Klärung. Je älter aber die Angesprochenen waren, umso interessierter waren sie am politischen Witz an sich, was sich mit der größeren Nähe zum Nationalsozialismus erklären läßt, und es entwickelten sich gute Gespräche.

Und da schlägt die kleine Anekdote einen Bogen zur gestrigen Kolumne.

Während sich freie Menschen offensichtlich den Mund verbieten lassen, gelingt das in der Unfreiheit nicht, und es blüht im Gegenteil das geschickte, subtile, leise und absolut friedliche Aufbegehren mit Worten, und wenn es mit einem kleinen Witz ist. Subversion durch Sprache! Das erfordert höchste Kompetenz, die gewährleistet, daß die gefährlichen Klippen umschifft werden. Dagegen schreit der freie Mensch nur tumb  „Lügenpresse“ und droht, die Mächtigen an den Galgen zu bringen. Welch ein Verlust an intellektueller Qualität und geistreicher Anarchie! Der freie Mensch scheint in seiner (Selbst-)Zufriedenheit bereit, sich im vorauseilenden Gehorsam ohne Not kastrieren zu lassen bzw. selbst entsprechend zu beschneiden, und wenn er sich der Folgen dieses massiven Einschnittes bewußt wird, mutiert er zum Wutbürger. Wer keine Eier mehr hat, dem fehlt halt das Selbstbewußtsein. Der DDR-Bürger, der die Kunst des Widerstandes nachweislich einmal beherrschte, weil er sie nahtlos aus der braunen Zeit herüberretten mußte, hat bei der Wiedervereinigung wie an einer Garderobe offensichtlich sein Gemächt freiwillig in der staatlichen Anatomiesammlung der freiheitlichen Demokratie abgegeben, dorthin, wo die Westler das ihre schon lange vorher gebracht haben. Deutschland, ein Volk von Kastraten! Hoch singen heißt aber nicht automatisch gut singen, geschweige denn authentisch, kraftvoll und wirkmächtig. Vielleicht müssen wir deshalb zunehmend auf die natürlichen Soprane bauen, die die Kunst der hohen Töne auch ohne medizinischen Eingriff beherrschen und dafür nicht ihr Selbstbewußtsein verloren haben. Die Zukunft gehört der Frau, zumindest solange, bis wieder vollständige Männer nachgewachsen sind und sich das weibliche Geschlecht eventuell genauso blödsinnig die Hörner abgestoßen hat, wie die Männer zuvor, was aber auch nicht geschehen muß, da die Frau an sich, außer vielleicht am Arschgeweih, gar keine Hörner besitzt. Immerhin besser, als sich nur deshalb wieder eine Diktatur herbeizuwünschen, damit der Geist wieder angeregt wird.

Eine spannende Zeit!

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

 

 

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