wolfsgeheul.eu vom 18.09.2016

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Anfang des letzten Jahrhunderts wurde das nachfolgende Gedicht geschrieben:

Berlin

Ich liebe dich bei Nebel und bei Nacht,
wenn deine Linien ineinander schwimmen, –
zumal bei Nacht, wenn deine Fenster glimmen
und Menschheit dein Gestein lebendig macht.

Was wüst am Tag, wird rätselvoll im Dunkel;
wie Seelenburgen stehn sie mystisch da,
die Häuserreihn, mit ihrem Lichtgefunkel;
und Einheit ahnt, wer sonst nur Vielheit sah.

Der letzte Glanz erlischt in blinden Scheiben;
in seine Schachteln liegt ein Spiel geräumt;
gebändigt ruht ein ungestümes Treiben,
und heilig wird, was so voll Schicksal träumt.

(Christian Morgenstern . 1871 – 1914)

Berlin – ich habe dich nie gemocht – war also immer schon furchtbar wüst und nur bei Nebel und Nacht zu ertragen. Die Bundeshauptstadt, in der man Einheit lediglich erahnen kann und die eine seelenlose Flughafenburg vor ihren Toren errichtet hat! Und wie sollen Menschen hinter blinden Scheiben einen klaren Blick auf die Welt gewinnen!?

Kann man aber glücklicherweise offensichtlich doch ein bißchen, denn wenn man auf das vorläufige Wahlergebnis schaut, erkennt man, daß die Sicht zumindest bis Mecklenburg-Vorpommern zu reichen scheint. Man hat gelernt, daß viele Unzufriedene neuerdings den Weg zur Wahlurne finden und dabei falschen Vorbildern folgen. Und so hat die bürgerliche Mitte, die gewöhnlich in viel zu hoher Zahl zu faul ist, sich aus dem Sofa zu erheben und ihrer Bürgerpflicht nachzukommen, sich nunmehr gestrafft und vermehrt ein Votum abgegeben, so daß SPD, CDU, Grüne und FDP – zum Glück sind Letztere ein weiteres positives Signal auch und gerade für den Bund, der die Liberalen wieder gut gebrauchen könnte – zusammen immerhin merklich über 60 Prozent erreichen. Und die Linke und AfD mit in Summe unter 30 Prozent sind zwar immer noch traurig viel, aber im Vergleich mit sonstigen Ostergebnissen fast erträglich. Wenn allerdings die CDU in dieser Richtung sich weiter entwickeln sollte, verlören wir demnächst die letzte große Volkspartei – dann bliebe nur die kleine CSU in Bayern ein solche -, die den Namen bisher noch so halbwegs verdiente. Die Verhältnisse ändern sich. Wenn es wie heute weiterginge, müßte das nicht das Schlimmste sein, denn in der Politik muß sich auch etwas ändern.

Berlin hat uns also erfreulicherweise nicht vollständig schockiert. Vielleicht sollte ich diese Stadt doch einmal mit Morgensternschen Augen betrachten. Im Dunkeln wäre es wenigstens schon ein Anfang.

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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wolfsgeheul.eu vom 04.11.2015

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Fünf Jahre war ich in Bayern, genau in München, tätig und habe mich da sehr wohl gefühlt, auch wenn die Uhren dort in vielerlei Hinsicht – im Positiven wie im Negativen – anders ticken. Eines habe ich dabei jedenfalls gelernt. Die Bayern sind eine ruppige, klare und direkte Landsmannschaft, die kein Blatt vor den Mund nimmt, etwas das sich auch und gerade im Dialekt widerspiegelt.

Laut „Spiegel“ haben zwei Kommunalpolitiker der CSU auf Druck von oben ihren Rücktritt eingereicht. Die eine, Parteivorsitzende des Ortes Zorneding mit weniger als 10.000 Einwohnern, der andere ihr Stellvertreter! Im Zusammenhang mit der Einwanderungskrise hat sie von „Invasion“ gesprochen und sich gegen die gaucksche Gleichsetzung von Heimatvertriebenen nach dem letzten Weltkrieg und den jetzt Ankommenden gewandt. Er hat – der genaue Zusammenhang läßt sich zur Zeit nicht recherchieren – zu dem aus dem Kongo stammenden Dorfpfarrer gesagt, er müsse „aufpassen, dass ihm“ sein alterVorgänger in der Gemeinde „nicht mit dem nackerten Arsch ins Gesicht“ springe, „,unserem Neger.“.

Mir liegt es fern, diese beiden Provinzpolitiker pauschal freizusprechen. Aber ist das Wort „Invasion“ denn wirklich so falsch? „invadere“ bedeutet nicht nur „angreifen“ und „überfallen“, sondern auch „einbrechen“, „eindringen“ und „einfallen“. Letzteres genau tuen die Menschen, die zur Zeit bei uns ankommen. Der „Wahrig“ beschreibt den Vorgang nicht nur als „widerrechtl. Einbruch in fremdes Staatsgebiet“, sondern auch als „(feindl.) Einfall“, also „feindlich“ ausdrücklich in Klammern, was sicherlich auch der Invasion der Allierten geschuldet ist, die deshalb nicht als feindlich gewertet werden kann, weil sie als Motiv die Befreiung vom Feind für sich hatte. Damit muß „Invasion“ nicht zwingend negativ behaftet sein. Und damit trägt der massenhafte Grenzübertritt jedenfalls invasive Züge. Auch kann man sicherlich trefflich darüber diskutieren, ob der Vergleich des Bundespräsidenten korrekt und haltbar ist, oder ob es nicht durchaus Unterschiede gibt.

Und der „Neger“? Was wäre geschehen, hätte es sich um einen weißen Münsteraner gehandelt, den man als „Preiß“ oder gar als „Saupreiß“ bezeichnet hätte? Ein Rücktritt wäre niemals die Folge gewesen. Und selbst „Saupreiß“ kann wie im Rheinland „Arschloch“ in bayerischen Gefilden durchaus auch liebevoll gemeint sein. Die genaue Titulierung als „unser Neger“ deutet sogar darauf hin, daß hier von einem grundsätzlich durchaus anerkannten Mitglied des Örtchens gesprochen wird. Und was kann der sprechende Mensch dafür, daß wir uns in der heutigen Zeit so schwer tun, zum Beispiel schwarzhäutige Menschen deskriptiv zu bezeichnen? Ich kann bis heute nicht einsehen, daß der Begriff „Neger“ pauschal verfehmt wird. Je nach Kontext, in dem er gebraucht wird, halte ich ihn weiterhin nicht a priori für diskriminierend.

Was passiert also bei uns? Wir verlieren unsere Sprache, weil man uns Teile davon zu gebrauchen quasi verbietet. Ein Volk aber, das nicht sprechen darf, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, denkt auch nicht frei, kann sich nicht offen austauschen. Wenn man aber seine eigenen Sorgen und Nöte nicht mehr spontan in Worte fassen darf, ohne Gefahr zu laufen, von der Gesellschaft verstoßen und um Amt und Würde gebracht zu werden, dann endet der gesellschaftliche Diskurs, der so wichtig ist, um unsere nominell immer noch freie Demokratie auf Kurs zu halten und voranzubringen. Dieser Weg führt in die Sprachlosigkeit, und Sprachlosigkeit führt zu Ersatzhandlungen als Ventilfunktion, um den Gedankenstau zu lösen.

Und wer realisiert eigentlich noch, daß das gemeine Volk einfach denkt und auch einfach angesprochen werden muß? Genau das hat in Bayern durch die letzte wirkliche Volkspartei, die CSU, in der Vergangenheit immer hervorragend funktioniert, weil sie die Mehrheit des Volkes uniert, damit auch kalmiert und vor allem verhindert hat, daß sich Menschen ausgegrenzt fühlen (müssen) und in Reaktion darauf sich extremistischem Gedankengut und radikalen Parteien zuzuwenden.

Wann durchbrechen wir endlich diesen Teufelskreis und reden wieder klar und offen miteinander. Das Ergebnis zählt, und das gesprochene Wort ist flüchtig. Keiner ist also gehindert, und alle sind, soweit sie es vermögen, auch weiterhin gehalten, schriftlich die Worte etwas besser zu wägen. Wenn aber ein freies Land aufhört, jedem das freie Wort zu gestatten, dann ist es kein freies Land mehr. Vielmehr herrscht dann eine Diktatur der erlaubten Einheitssprache, die die Gedanken konditioniert und eingrenzt. Und das im Land der Philosophen! Kommen wir wieder zurück zum einzig wahren Grundsatz, der je nach Formulierung Voltaire, Hall und ich meine auch Max Ernst zugeschrieben wird, und den ich immer wie folgt verwende: „Ich finde deine Meinung zum Kotzen, aber ich werde dafür kämpfen, daß du sie äußern darfst!“:

Gute Nacht!

Ihr/Euer Wolf

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